Umdenken bei der Mitgliedergewinnung
Durch die drastische Veränderung der Medien und des Mediennutzungsverhalten ist der Kampf um Kunden und Mitglieder intensiver als je zuvor. Welche Möglichkeiten und Chancen durch die Digitalisierung im Tennissport für den Breiten- und Leistungssport entstehen und was den deutschen Tennissport in der digitalen Zukunft erwartet, erfährst Du im Interview mit Sportmarketing-Fachmann Simon Trägner.
![]() Simon Trägner (45) war nach dem Studium der Sportökonomie 18 Jahre bei der Sponsoring Beratungsagentur akzio! (heute Lagardère PLUS) tätig und stand dieser als einer der geschäftsführenden Gesellschafter vor. Seit Februar 2017 führt er als Managing Director der Leitmotiv Consultants die Beratungs-Unit der Constantin Medien AG mit Sitz in Ismaning bei München. Das Medienunternehmen ist mit seiner Geschäftstätigkeit auf das Segment Sport fokussiert und umfasst die Aktivitäten von Deutschlands führender 360°-Sportplattform Sport1 und des Vermarkters Sport1 Media sowie des Content-Solution-Anbieters Plazamedia, der Leitmotiv Creators und der Leitmotiv Consultants.
Herr Trägner, Sie sind seit annähernd 20 Jahren in der Sportmarketing-Branche sehr erfolgreich tätig, noch weiter zurück reicht ihre persönliche Liebe zum Tennissport. Wie erfolgreich sind Sie am Racket? Tennis begeistert mich seit meiner Jugend. Wie viele andere hatte auch ich mein "emotionales Aha-Erlebni" im Juli 1985. Verglichen mit diesen Kalibern bezeichne ich mich definitiv als Anfänger. Ich spiele leidenschaftlich mit Mannschaftskollegen und Freunden auf Breitensport-Niveau und habe erkannt, dass mein Talent klare Grenzen hat. Leider.
Sie haben 1985 angesprochen, was hat sich in den letzten ca. 30 Jahren maßgeblich im Tennissport aus Ihrer Sicht geändert? Zum einen natürlich zahlreiche sportliche Aspekte, die das Spiel schneller, athletischer und (meist) spektakulärer gemacht haben. Zweitens auf der organisatorischen Seite des Turnier- und Spielbetriebs, der sich deutlich professionalisiert und globalisiert hat. Drittens im finanziellen Bereich mit Blick auf den Profisport: Hat Becker damals noch 520.000 DM für seinen Sieg bekommen, sind wir - bzw. Roger Federer - 2017 bei dem Zehnfachen angekommen. Und viertens im Bereich Vermarktung und Media, der sich in den nächsten Jahren noch weiter entwickeln wird.
Sie meinen das Thema "Digitalisierung"? Ein großes, vielfach und unterschiedlich verwendetes Wort. Ich möchte den Fokus im ersten Schritt auf den kommunikativen Teil der Digitalisierung lenken: Durch den technologischen Fortschritt haben sich Medien und somit auch das Mediennutzungsverhalten der Sport- und auch Tennisfans in den letzten Jahren drastisch verändert. Gab es vor 30 Jahren gerade mal eine Handvoll TV-Sender in Deutschland, sind es heute mehrere Hundert, die um Marktanteile und die Gunst des Konsumenten buhlen. Gab es vor zehn Jahren keine 5 Millionen Smartphone-Nutzer in Deutschland, sind es heute mehr als 50 Millionen. Um es kurz zu machen: Die Anzahl der Medien hat zugenommen, die Anzahl der Mediennutzer hat zugenommen und - das wird gelegentlich übersehen - die Anzahl der Botschaften in den Medien (und außerhalb der Medien) hat drastisch zugenommen.
Was meinen Sie genau damit? Vor allem eins: Dass der Kampf um die Aufmerksamkeit des Konsumenten intensiver ist als jemals zuvor. Wie dringe ich durch mit meinen Botschaften bei 7.000 Tweets und 50.000 Google-Anfragen pro Sekunde, bei Tausenden von Werbereizen pro Tag? Diese Frage stellen sich natürlich werbetreibende Unternehmen und Sponsoren im medialen Umfeld. Aber auch Verbände, Ligen und Vereine müssen sich noch stärker dieser Frage widmen, um den Kampf um ihre Kunden bzw. ihre zahlende Mitglieder erfolgreich zu gestalten.
Was bedeutet das ganz konkret für Vereine, vornehmlich Tennisvereine? Die Zahl der Möglichkeiten, in der Freizeit aktiv zu sein, ist höher denn je. Das heißt: Die einfache Tatsache, dass es im Ort einen Tennisplatz bzw. Tennisverein gibt, führt nicht zwangsläufig dazu, dass dieser auch genutzt wird. "Warum Tennis? Ich könnte doch genauso gut auch?". Natürlich gab es dieselbe Frage auch schon vor 30 Jahren - aber die Antwortmöglichkeiten haben sich deutlich erhöht. Und genau wie vor 30 Jahren braucht es für den jeweiligen Verein sowohl rational als auch emotional überzeugende Argumente, die für den Tennissport sprechen. Allerdings - und hier schließt sich der Kreis - müssen diese Argumente zeitgemäß sein, dem Mediennutzungsverhalten und auch dem technologischem Fortschritt entsprechen.
... wir sind also in der Digitalisierung im Tennissport angekommen... Ja. Sowohl in der Kommunikation, als auch in Mehrwert-stiftenden Produkten. Einige Beispiele, bewusst aus dem Breitensport: Die Vereins-Homepage - leider viel zu oft noch veraltet, optisch grausam, inhaltlich verwirrend, geringe konkrete Mehrwerte, keine emotionale Ansprache, Telefonnummern, die ins Leere laufen etc. Das spricht im digitalen Zeitalter keine neuen Kunden an. Oder Buchungssysteme für Outdoor- und Hallenplätze - immer noch viel zu häufig der Kampf mit Magnet-Schildern, die hin und hergeschoben werden. Dabei sind auch hier entsprechende digitale Produktlösungen längst auf dem Markt.
Das klingt nachvollziehbar. Aber bedeutet das nicht das Ende für das persönliche Vereinsleben und auch das Ehrenamt? Und: wie soll das bezahlt werden? Ganz im Gegenteil: Denn ein Verein ohne Mitglieder wird ganz sicher kein Vereinsleben haben, ohne Mitglieder sind die Kassen auch entsprechend leer. Und nicht genutzte Tennisplätze benötigen auch keine ehrenamtlichen Helfer. Also sollte die Loyalität bestehender und die Gewinnung neuer Mitglieder Priorität haben. Hier muss meiner Ansicht nach ein Umdenken stattfinden: vom Automatismus neuer Mitglieder - den gibt es nämlich nicht mehr - zum serviceorientierten "Kampf" um neue Kunden. Und mit Blick auf die Konkurrenzsituation und die digitalen Möglichkeiten wäre es doch fahrlässig, die sich bietenden Chancen nicht zu nutzen. Nur moderne Kommunikation, intelligente Ansprache und technologische Mehrwerte können Mitglieder binden und neue Kunden anziehen. Und dann steht dem bisherigen Vereinsleben mit Clubmeisterschaften, Kinder-Ferienlager und LK-Turnier nichts im Wege - inklusive des absolut notwendigen Ehrenamts für die Organisation dieser Events.
Vom Breitensport zum Leistungssport im Tennis ... Die oben genannten Beispiele aus dem Breitensport haben hier zum allergrößten Teil natürlich keine Gültigkeit. Bei den Top-Events im Profibereich hat in den letzten Jahrzehnten ein hohes Maß an Professionalisierung Einzug gehalten. Aber nehmen wir ein aktuelles Beispiel aus der digitalen Kommunikation: Social Media bietet Fans die einmalige Möglichkeit, direkt mit ihren Idolen zu interagieren. Den Stars wiederum bietet es, neben der Interaktion mit den Fans, die Chance, eine globale und reichweitenstarke Plattform für ihre Partner und Sponsoren zu nutzen. Fans erwarten diese Art der Kommunikation - Sponsoren werden das zukünftig auch immer mehr tun und möchten sich hier integrieren. Und in der Folge werden sich Marktwerte von Sportlern bzw. Tennisspielern auch an den persönlich erzielten Reichweiten ihrer Plattformen bemessen. Einige Beispiele aus dem Fußball: Weltfußballer Cristiano Ronaldo bringt es auf 114 Mio. Fans auf Instagram, auf Facebook sind es 122 Mio. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Verpflichtung von James Rodriguez erhöhte sich beim FC Bayern die Anzahl der Fans auf den verschiedenen Social-Media-Kanälen um 800.000. Eine globale Plattform vor Millionen-Publikum - vor Banden, in Trikots, in emotionaler Jubelpose. Anders ausgedrückt: konkreter Wert für Sponsoren, den Star - und Mehrwert für die Fans. Und im Tennis? Die Top-Stars kommen im Vergleich zum Fußball erwartungsgemäß auf geringere Reichweiten: Federer folgen 10,4 Mio. auf Instagram, Serena Williams knapp10 Mio. auf Twitter. Die deutschen Top-Stars sind weit unter der Millionen-Grenze - sie sind medial gesehen (noch) keine globalen Stars, allenfalls Sternchen.
Was erwartet den deutschen Tennissport in der digitalen Zukunft? Ich hoffe, sehr viel Positives. Und daran glaube ich auch: Im Profibereich sind wegweisende Strukturen geschaffen worden. Das ist meiner Ansicht nach die Basis für eine erfolgreiche Sportart eines Landes. Ich wünsche mir, dass digitale Entwicklungen vorurteilsfrei, neugierig und natürlich auch kritisch beobachtet werden. Virtual- und Augmented-Reality-Themen werden Einzug halten: den Star beim Training in Wimbledon hautnah beobachten zu können? Wieso denn nicht? Weitere Daten zu Spielsituationen eingeblendet zu bekommen? Als Tennisfan gerne! Liveübertragungen auf rein digitalen Plattformen? Das wird kommen. Über den "Second Screen" Angebote zum Outfit des gerade spielenden Stars bekommen? Ja. eSports-Grand-Slams im Tennis? Vielleicht. Denn es geht nicht um die Revolutionierung des Tennissports - sondern um die glaubwürdige und sinnvolle Nutzung der sich bietenden digitalen Chancen. |